Der Umgang mit Radikalisierung im Klassenzimmer
Der Nahost-Konflikt ist in aller Munde und spaltet die Menschen. Das ist auch in den Schulen spürbar. Einer unserer Fellows aus dem Jahrgang 22' berichtet, wie er in seiner Klasse damit umgegangen ist, dass ein Schüler religiöse Ideologien verbreitet hat und sich die Klassenkolleg:innen davon anstecken ließen. Ein Erlebnisbericht, der beide Perspektiven beleuchtet.
Aus der Sicht der Lehrenden/des Fellows
Schon vor dem Nahostkonflikt war eine Verhaltensänderung bei einzelnen Schüler:innen spürbar. Vom Dresscode über das Verhalten haben wir Lehrer:innen gespürt, dass sich das Machtverhältnis zwischen Schüler:innen und Lehrenden ändert. Wir haben beobachtet, dass ein Schüler Ideologien verbreitet, die er selbst unhinterfragt übernommen hat und viele andere Schüler:innen dem ebenso unhinterfragt gefolgt sind. Diese Gruppendynamik des „Dabei-sein-wollens” ohne kritisch zu hinterfragen hat uns sehr arlarmiert. Der erste Impuls war, den betreffenden Schüler von der Schule zu weisen. Doch ich habe mich dafür eingesetzt, dass er unter Auflagen bleiben kann. Ich denke es hätte niemand geholfen den Schüler zu verweisen, vielmehr ist es meiner Ansicht nach wichtig zu schauen warum dieser Schüler diesen Weg eingeschlagen hat und was ihm helfen kann, diesen wieder zu verlassen. In diesem Prozess habe ich auch mein eigenes Verhalten zum Schüler überdacht und gemerkt wie viel positive Energie freigesetzt wird, wenn ich auf ihn zugehe un versuche das zu geben wonach er sucht. Für mich ist es eine lohnenswerte Aufgabe von der beide Seiten profitieren.
„Einige wenige geben den Ton mit Ideologien an, die sie selbst nicht hinterfragt haben, und viele andere folgen ihnen ebenso unhinterfragt. Diese Gruppendynamik hat uns sehr alarmiert.“
Aus der Sicht der Jugendlichen
Viele Jugendliche fühlen sich entwurzelt. Sie suchen nach der Identität der Eltern, aber auch ihrer eigenen. Diese Suche führt sie oft zur Religion. Zusätzlich haben die Jugendlichen Sehnsucht nach Personen (Eltern) die ihnen Perspektiven aufzuzeigen, ihnen Fragen beantworten und an ihrer Seite stehen. Wenn ihnen das dauerhaft fehlt, so finden sie es vermeintlich in anderen Gemeinschaften, die allerdings diese Suche nach Orientierung für ihre eigenen Zwecke ausnutzen. Quellen der Ideologien sind aber auch Medien, die kurze prägnante Botschaften verbreiten und vermeintlich offene Fragen beantworten.
„Viele Jugendliche fühlen sich entwurzelt und sind auf der Suche nach Identität. Sie haben Sehnsucht nach Personen, die ihnen Perspektiven aufzeigen, für sie da sind und ihnen Antworten geben.”
Was kann helfen?
Wir haben Expert:innen von außen für Workshops mit den Schüler:innen eingeladen um religiöse Fragen zu besprechen. Ich konnte beobachten wie die Jugendlichen dem Vortragenden an den Lippen hing und wie wertvoll dieser Input war. Dem „störenden” Verhalten im Unterricht habe ich keine Bühne gegeben und die Eltern zu einem Gespräch eingeladen. Es war mir wichtig, den Schüler in der Klasse zu halten und mit ihm weiter zu arbeiten. Ihm und den anderen Klassenkolleg:innen versuche ich Gehör und Zuwendung für ihre persönliche Situation zu schenken. Ich merke schon jetzt, dass sich die Stimmung in der Klasse verbessert hat. Immer wieder weise ich auf unsere Werte wie Menschenrechte und Grundrechte und auf Vielfalt und Toleranz hin. Meiner Meinung nach braucht es vielmehr Expert:innen die sowohl den Schüler:innen als auch den Lehrenden zur Seite stehen und dabei helfen, religiöse Ideologien einzuordnen bzw. richtigzustellen.
„Ich denke, es ist wichtig den Schüler:innen Gehör und Zuwendung für ihre persönliche Situation zu schenken. Außerdem wünsche ich mir vielmehr Workshops mit Expertinnen die uns dabei helfen, religiöse Ideologien einzuordnen bzw. richtigzustellen.”
— Jänner 2024