„Poly“ im Zeichen von Corona
Es ist Freitag, der 13. März 2020. Lehrer- und Schüler*innen eilen durch die Gänge der PTS/FMS im 18. Wiener Gemeindebezirk. Eine eigentümliche Atmosphäre bestimmt heute den Schulalltag- stehen die Sommerferien bevor? Nein, nicht ganz, obwohl die Aufregung ob der Unsicherheit, ob und wie Unterricht in den kommenden Tagen, Wochen, stattfinden kann, wird, noch nicht fassbar ist.
In der Schule zeichnet sich eine Veränderung auf Zeit ab. Turnunterricht- für heute abgesagt, anstelle dessen gibt es Sonderstunden mit den Klassenvorständ*innen zur aktuellen Lage. Der Lehrberuf kann schon manchmal herausfordernd sein, wenn es darum geht „bekannten Unterrichtsstoff“ zu vermitteln. Die heutige Schulstunde wird aufgrund der beidseitigen Ahnungslosigkeit in der aktuellen Situation schon fast zur soziologischen Studie. Es werden Fragen über Fragen gestellt, auf die es (zumindest jetzt noch) keine Antworten gibt, es bestehen Ängste, denen nicht einfach mit rationalen Erklärungen entgegnet werden kann. Was tun? Es ist die Aufgabe einer Lehrkraft, neben der Vermittlung von fachlichem Wissen auch auf die soziale Komponente der Schüler*innen in ihren individuellen Lebensrealitäten zu achten.
Wir gehen in Richtung einer Klasse im 1. Stock- die Lehrkräfte betreten den Raum und es herrscht große Aufregung: „Herr Lehrer, haben wir jetzt wirklich schon Ferien?“, „Müssen wir jetzt von zu Hause lernen?“, „Wann werden wir wieder Schule haben?“ … Fragen über Fragen … und keine (zufriedenstellenden) Antworten.
Die Klassenvorstände stehen heute einige Minuten länger vor der Tafel, bevor langsam Ruhe einkehrt. Eilig wird eine Grafik vom Verlauf der Corona-Infektion an die Tafel gekritzelt. Schon nach wenigen Strichen zeigen die Ersten auf. Die Lage ist angespannt, untypisch wenig Gekicher kommt heute aus den sonst so gesprächigen letzten Reihen und hektisches Auspacken von Büchern und Heften fällt heute aus. Das Coronavirus ist nun tatsächlich in Österreich angekommen.
Warum trifft Corona die polytechnische Schule besonders hart?
Das landläufig als „Poly“ bezeichnete 9. Pflichtschuljahr ist ein prägendes Jahr für die Jugendlichen, da eine Lehrstelle oder ein weiterführender Bildungsweg nach erfolgreicher Absolvierung in Aussicht gestellt werden soll. Nicht zuletzt stellen die berufsvorbereitenden Fachbereiche in dieser Schulform einen wesentlichen Teil des Kompetenzgewinns dar. Besonders diese spezifische Fachorientierung ist nur schwer in einem Onlineformat abbildbar, da ein wichtiger Faktor dabei der praxisbezogene Zugang zum zukünftigen Arbeitsumfeld ist. In einigen Bereichen wird dies vor allem in Werkstatt oder Labor ermöglicht. Dieser Praxisbezug kann für eine Kohorte von tausenden Schüler*innen dieser Schulstufe heuer nicht stattfinden.
Die dabei versäumten Kenntnisse lassen sich bei vielen vielleicht auch nicht mehr nachholen. Zusätzlich führt die wirtschaftliche Gesamtsituation auch dazu, dass ein prognostizierter Mangel an Lehrstellen und Jobmöglichkeiten nach Ende dieses Schuljahrs die Poly-Schüler*innen noch vor eine weitere Hürde stellen kann.
Was tun, wenn das Schuljahr vorbei ist und kein Ausbildungsplatz zur Verfügung steht? Um das Ganze noch auf die Spitze zu treiben, sind auch nicht selten die Eltern unserer Schüler*innen von den wirtschaftlichen Auswirkungen der aktuellen Lage betroffen, was zum ökonomischen Totalausfall einer ganzen Familie führen kann.
Wo Schatten fällt muss auch irgendwo Licht sein!
So schwierig die Umstände und Bedingungen für viele unserer Schüler*innen auch sind, heißt es für uns Lehrkräfte umso mehr an zukunftsermöglichenden Lerninhalten zu arbeiten. Es gilt, Fachkompetenzen soweit wie möglich über Onlinelehre zu stärken und
Bewerbungstraining zielgerecht zu ermöglichen.
Dies bedeutet neben der Überarbeitung von Lebensläufen und dem Erstellen von Bewerbungsportfolios, vor allem auch das Ausfindigmachen realistischer (und möglichst krisensicherer) Berufschancen und die Zeit jetzt intensiv für Recherchezwecke zu nutzen.
Dies kann ein essentieller Faktor sein, wenn die Wirtschaft wieder Fahrt aufnimmt und unsere Schüler*innen sich gegenüber der Konkurrenz behaupten müssen. Es ist jetzt unsere Aufgabe als Lehrkräfte, die in Österreich allseits bekannte Bildungsschere nicht noch weiter auseinandergehen zu lassen.
Wie kann das gelingen?
MIT UNS ALLEN, GEMEINSAM.