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Mein Weg, dein Haus, unser Grätzl

Ein identitäts- und gemeinschaftsstiftendes Projekt im Kindergarten

Ein Beitrag von Özgür Nikodemus Çatıkkaş

 

Wenn ich den morgendlichen Weg in den Kindergarten zurücklege, in dem ich seit über eineinhalb Jahren als READY-Fellow tätig bin, ist es für mich kaum mehr als gleichförmige Routine. Begegne ich dabei aber von mir betreuten Kindern, wird mir angesichts der freudig erregten Erzählungen, die daraus resultieren, immer wieder aufs Neue bewusst, wie anders und besonders solche Wege von ihnen erlebt werden. Dem versuchten meine pädagogische Kollegin und ich in einem gemeinsamen Projekt Rechnung zu tragen.

 

„Mein“ Kindergarten befindet sich am Keplerplatz, zwischen Gudrun- und Favoritenstraße, in der Nähe des Hauptbahnhofs, „mitten im Zehnten“: kurz, in einem Grätzl, dem einerseits wenig optischer Reiz und andererseits ein vielfältiges multikulturelles Gepräge nachgesagt wird. Die Mädchen und Buben, die unseren Kindergarten besuchen, bilden jedenfalls tatsächlich eine facettenreiche Mischung, was etwa ihre Herkunft und unterschiedlichen Erstsprachen betrifft. Der Kindergarten und in Zusammenhang damit das regional eng begrenzte Einzugsgebiet und Wohn- und Lebensumfeld der Kinder fungieren hier als verbindender, gemeinschaftsbildender Faktor. Unter anderem vor diesem Hintergrund entwickelte die Pädagogin, mit der ich zusammenarbeite, gemeinsam mit mir ein Projekt, das genau diese spezifischen Aspekte der kindlichen Lebenswelt anschaulich und begreifbar in den Fokus rücken sollte.

Der morgendliche Weg in den Kindergarten

Die Grundidee dabei war, sowohl das Grätzl als gemeinschaftlichen Lebensraum als auch die darin unterschiedlich verorteten Wohnhäuser der Mädchen und Buben gemeinsam kennenzulernen, und zwar entlang der verschiedenen Wege in den Kindergarten und von dort zurück nach Hause, wie sie die einzelnen Kinder in der Regel an fünf Tagen in der Woche zurücklegen. Zu diesem Zweck integrierten wir zunächst ein regelmäßig gesungenes, aber textlich immer wieder neu adaptiertes Lied in den täglichen Morgenkreis, das sich um die individuellen morgendlichen Wege der Kinder dreht: „Wie kommst du in den Kindergarten? … Ich fahre mit der U-Bahn und geh‘ ein Stück zu Fuß usw.“ Davon ausgehend näherten wir uns schließlich schrittweise der „angewandten Feldforschung“ und druckten Kartenausschnitte aus Google-Maps rund um unseren Kindergarten aus, die wir dann gemeinschaftlich zu einer Karte unseres Grätzls zusammenfügten und aufklebten. Auf diese Weise gerüstet, erkundeten wir schließlich nach und nach gemeinsam in unmittelbarer Anschauung und „Begehung“ das, wovon im Lied gesungen worden war.

Bei diesen Ausflügen ging nach Möglichkeit immer ein Kind voran und erklärte und zeigte uns den Weg vom Kindergarten zu seinem Wohnhaus. Vor Ort beschrieb es dann sein Haus, zeigte den anderen Kindern etwa die Fenster seiner Wohnung und erzählte uns über andere wichtige räumliche Bezugspunkte seines Wohnumfeldes. Hierbei entdeckten die Kinder nicht selten für sie überraschende Überschneidungen und Gemeinsamkeiten, sei es dasselbe mit den Eltern regelmäßig aufgesuchte Lebensmittelgeschäft oder dieselbe oft benutzte Bushaltestelle. Um all die zurückgelegten Wege festzuhalten, verzeichneten wir sie nach der Rückkehr in den Kindergarten auf unserer erstellten Grätzl-Karte, die sich so zunehmend mit Farbe füllte.

 

Das Engagement, das die Kinder bei der Präsentation ihrer Wege aufbrachten, machte für uns deutlich, wie wichtig es ihnen ist, sich in ihrer Individualität zu zeigen und dadurch auch in ihrem Erleben von Identität zu stärken.

 

Es war uns in diesem Zusammenhang wichtig, einen – vielleicht oft wenig beachteten und in seiner Bedeutsamkeit unterschätzten – Aspekt ihrer Lebensrealität hervorzuheben und mit Interesse und Wertschätzung zu begegnen. Auf der anderen Seite veranschaulichte die Begeisterung dabei, Gemeinsamkeiten zu entdecken, das tief verankerte Bedürfnis nach gegenseitigem Bezug, Gemeinschaft und Verbundenheit. Diesem Wechselspiel zwischen Individualität und Kollektiv, zwischen Unterschieden und Gemeinsamkeiten, zwischen Ich und Wir ließ sich in diesem Rahmen unmittelbar und vor allem sehr lebensnah Rechnung tragen.

Der von uns in diesem Projekt eingeschlagene Weg zeigte aber auch auf, dass die große Entdeckerfreude, die Kindern ja in besonderer Weise eigen ist, auch bei ihnen durch die Dynamik des zu großen Teilen von Erwachsenen geprägten Alltags Einschränkungen erfährt. Es zählt daher nicht zuletzt zu unseren Aufgaben, diese immer wieder neu anzuregen und ihr Raum zu geben: Denn auch die Kinder konnten die ihnen bekannte Umgebung auf diese Weise neu entdecken und Beobachtungen machen, für die ihnen bislang oft einfach die Möglichkeit gefehlt hatte.

Einen kleinen Höhepunkt im Projektablauf stellte der gemeinsame Besuch des Hauptbahnhofs dar – ein Ort, der wiederum auf meinem täglichen Weg zur und von der Arbeit einen Fixpunkt darstellt. Und siehe da: Auch mir eröffneten sich auf diese Weise Details und Einsichten, die ich in all der Zeit übersehen oder nicht bzw. nicht mehr beachtet hatte. Meist unbemerkt bilden sich auch in der Arbeit im Kindergarten mit der Zeit eingefahrene Wege, Routinen und Betriebsblindheit heraus.

Und so gilt es auch für uns, unsere Entdeckerfreude immer wieder anzufachen, neue Wege auszuprobieren und uns in unserer (beruflichen) Identität weiterzuentwickeln.

 

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